Judith Butlers öffentliches Statement gegen Rassismus in der schwullesbischen Community in Deutschland hat ein breites Medienecho erzeugt. Das Problem von Rassismus und die Manipulierung rassistischer Debatten zu (Hass-)Gewalt, Kriminalität und Sicherheit durch schwullesbische wie auch Queer- und Transpolitiken erhält zum ersten Mal eine größere Öffentlichkeit. Dabei ist die Debatte um eine Sexualpolitik, die sich ihre Gelder und Öffentlichkeit durch rassistische Stimmungsmache verdient, keineswegs neu. Bislang wurde sie jedoch v.a. von denen geführt, die von Gewalt und Ausgrenzung am akutesten betroffen sind und in queeren, anti-rassistischen und intellektuellen Zusammenhängen am wenigsten vermisst werden. Angela Davis hat recht, dass Butlers Ablehnung zu einem Katalysator werden könnte, um sexuelle und geschlechtliche Bewegungen zu entkolonisieren, und dem Rassismus und der Orientalisierung von Debatten wie der über „homophobe und transphobe Hassgewalt“ ein Ende zu bereiten. Dennoch stellt sich die Frage, ob und wie dieser Moment, an dem sich das politische Terrain verändert, die Arbeitsteilung queerer anti-rassistischer Politik neu gestalten wird.
Zu bemerken ist, dass im sogenannten „Butler-Eklat“ sowohl Rassismus als auch die Existenz von Queer- und Transleuten of Colour sofort wieder ausradiert wurden. Dass es einer weißen Celebrity bedarf, um einer Kritik, die seit Jahren von ethnisierten Aktivist/innen und Theoretiker/innen artikuliert wird, öffentlichen Wert zu geben, ist an sich schon Ausdruck problematischer Repräsentationspolitiken. Leider blieben viele Diskussionen an der Person Butlers hängen, die entweder als manipulierte Diva, die sich selbst keine Meinung bilden kann, dargestellt oder aber als Ikone einer ebenso unschuldigen wie selbstgerechten queeren Antira-Identität zelebriert wird. Dabei scheinen sowohl etablierte Homo- als auch alternative Queer-Szenen weitaus mehr Energie in die Leugnung von Rassismus und die Marginalisierung seiner Kritiker/innen zu stecken als in anti-rassistische Arbeit selbst.
Bündnisse sind zentral für emanzipative Projekte, aber wie sähe eine wirkliche Bündnispolitik mit Queer- und Transleuten of Colour aus? Ausgangspunkt jeder Bündnisarbeit sollte die Transparenzmachung ungleicher Machtpositionen, Ressourcen und politischer Definitionsmacht sein, sowie die Verpflichtung, diese radikal umzuverteilen. Welche Anforderungen muss ein Bündnis erfüllen, um machtkritische, produktive und erträgliche Kommunikation und Arbeit zu ermöglichen? Bündnispolitik bedeutet nicht, dass dominante Menschen über oder für „die Anderen“ sprechen, sie unter Vorwänden wie „Solidarität“ oder „Wissenschaft“ retten, sammeln, erforschen oder bevormunden, sie in ungleiche „Dialoge“ zwingen, deren Rahmen und Erkenntnisgegenstand immer bereits vorgegeben sind – von der Kriminalität archaischer, religiöser, patriarchaler und homophober Communities bis hin zur unverschämten Undankbarkeit derer, die sich „dem Dialog verweigern“, wenn sie rassistische Geschichten über ihre Familien und ihre Communities nicht unterschreiben, oder den „DIY-Ethos“ einer Veranstaltung missverstehen, wenn ihnen ein 99% weißes Plenum zu viel ist. Ein Bündnis, das weiße Machtstrukturen abbauen will, muss sich öffentlich dazu verpflichten, die Machtverhältnisse innerhalb der eigenen Gruppe/Organisation/Plena zu ändern. Von zuhören bis sich weiterbilden bis endlich was tun – Verbündetenarbeit ist nicht leicht, aber man muss sie letztlich selbst machen, im eigenen Namen und auf eigenes Risiko. Die tolle Antira-Identität kann hierbei nicht das defensiv verteidigte A und O sein. Letzlich geht es darum, Machtpositionen zu verändern und auch abzugeben.
Wenn Queer- und Transleute of Colour bislang mit der Bürde anti-rassistischer Arbeit zumeist allein bleiben, ist es um die Verteilung der Risiken und Erträge nicht besser gestellt. Während sich weiße Leute um den Butler-Kuchen stritten, wurden die von Butler erwähnten Gruppen zu den Zielscheiben des Backlashes. Interessant ist, dass der CSD e.V. diese einerseits mit Butlers Flugkosten kaufen will und andererseits zu den „Schuldigen“ an ihrem Rassismusvorwurf, der scheinbar keiner Antwort bedarf, erklärt. Neben Teile-und-Herrsche-Versuchen (siehe Kommentar von Bodo Wiese) zwischen den Vereinen sowie zwischen Transleuten (scheinbar alle weiß) und Queers of Colour (scheinbar alle geschlechtskonform) fällt v.a. auf, wie der CSD e.V. Butlers klare Worte auf ein persönliches Problem, das einzelne Queers of Colour scheinbar mit einzelnen weißen Funktionären haben, reduzieren will, und hierdurch auch wieder seine homonationalistischen Loyalitäten bezeugt.
Unterdessen sind wir mit den eigentlichen Aufgaben konfrontiert. Wie kann die neue Sichtbarkeit von Rassismus als Problem, das schwullesbische, Queer- und Transgender-Szenen durchzieht, uns in progressivere Richtungen bewegen? Neben der manipulierten Moralpanik über „homophobe Migranten“ und einer Hassindustrie, in der einige auf Kosten vieler profitieren, dürfte der Ausspruch der CSD-Moderatoren „Ihr seid nicht die Mehrheit“, dessen Echos neben den immer unverhohleren Türpolitiken von Schöneberger Diskos wie dem Connection auch im ganz normalen Alltagsrassismus in Queer- und Trans-Szenen wiederhallen, hierfür gute Einstiegspunkte bilden. Weiterhin bedarf es eines Outings der globalisierenden Rolle von CSD-Paraden nicht nur als Kommerz-Maschinen sondern auch als Grenzmarkierer zwischen „modernen“ Ländern und solchen, die entweder aufholen oder mit militärischen Sanktionen, Entzug sogenannter „Entwicklungshilfe“ oder Visa- und Einwanderungskontrollen bedroht werden müssen. A propos CSD und Kommerzialisierung bleibt auch offen, ob sich die derzeitige Stonewall-Nostalgie in Anti-Gentrifizierungs und –Militarisierungsbewegungen verwandeln wird. Während in New York reiche weiße Schwule private Bullen einsetzen, um Queer und Trans of Colour Street Kids von den Christopher Street Piers zu räumen, werden Kreuzberg, Neukölln und Schöneberg zu den Tatorten einer Hassgewaltdebatte, welche die rasche Verdrängung und Kriminalisierung von Leuten of Colour aus diesen Bezirken normalisiert und beschönigt. Wie verhält man sich gegenüber Kiezen, nachdem man sie als „unsere Kieze“ vereinnahmt hat? Was trägt man neben steigenden Mieten, Ethno-Konsum und politisch korrigiertem Polizei-Einsatz zu ihnen bei? Es bleibt abzuwarten, wer diese Fragen zu den eigenen machen wird.
SUSPECT, 14. Juli 2010
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